Archive for Dezember, 2009
Betriebsübergang: mitgehen oder widersprechen, Zeit zur Entscheidung?
Nicht erst seit Siemens und BenQ ist die Unterrichtung der Arbeitnehmer über einen bevorstehenden Betriebsübergang ein Unsicherheitsfaktor für alle Beteiligten. Doch wann und wie lange hat der Arbeitnehmer Zeit zur Entscheidung?
Der Betriebsübergang, als rechtsgeschäftlicher Inhaberwechsel bei Betrieben oder Teilbetrieben (§ 613a BGB), kann entstehen bei der Reorganisation von großen Unternehmen (Auslagerung), aber auch bei Unternehmenskauf oder im Einzelfall schon bei der Übernahme von Leiharbeitnehmern in ein anderes Leihunternehmen. (s. EUGH Urteil v. 13.09.2007). Die Konstellationen sind vielschichtig und bedürfen der Prüfung im Einzelfall. Zur Differenzierung soll hier aber auf folgendes hingewiesen werden: wird in einer Gesellschaft – XY GmbH – lediglich der Gesellschafter ausgetauscht (Share deal), so findet kein Inhaberwechsel/kein Betriebsübergang statt; die XY GmbH bleibt weiterhin Arbeitgeber.
Die Überlegungsfrist bei einem Betriebsübergang beträgt für den Arbeitnehmer einen Monat (§ 613a Abs.VI BGB). Diese Frist startet, wenn eine hinreichende Unterrichtung in Textform – z.B. per Brief, Fax oder E-Mail durch den Veräußerer oder den Erwerber erfolgt ist. Die mündliche Information auf einer Betriebsversammlung oder ein Aushang am „schwarzen Brett“ genügen nicht.
Die Information ist abgekoppelt vom tatsächlichen Zeitpunkt des Betriebsüberganges und wird häufig frühzeitig vorgenommen, um Sicherheit für die künftige Organisation und über die mitgehenden Know-how-Träger zu haben. Manch ein Deal ist schon durch den gruppenweisen Widerspruch von Arbeitnehmern geplatzt.
Notwendige Bestandteile der Unterrichtung sind:
– der Zeitpunkt oder der geplante Zeitpunkt des tatsächlichen Überganges;
– der Grund des Überganges (z.B. Übertragung auf eine neue Tochtergesellschaft zur Ausgliederung eines Bereiches);
– die rechtlichen, wirtschaftlichen und sozialen Folgen des Überganges für den Arbeitnehmer (Weitergeltung der Rechte und Pflichten aus dem Arbeitsvertrag, Haftung des alten und neuen Arbeitgeber für Gehaltsbestandteile vor dem Übergang, Kündigungsschutz, Auswirkungen auf die Arbeitnehmervertretung, soziale Folgen;…);
– die hinsichtlich der Arbeitnehmer in Aussicht genommenen Maßnahmen (Weiterbildung, Interessenausgleich und Sozialplan);
Erfolgt die ordnungsgemäße Information erst nach dem Vollzug des Betriebsübergangs, so beginnt die Frist auch erst mit deren Zugang.
Ist die gegebene Information inhaltlich mangelhaft, so löst diese die Frist nicht aus. Der Widerruf kann im Einzelfall noch Jahre nach dem Übergang erfolgen. Eine zeitliche Grenze setzt lediglich die Verwirkung des Widerspruchsrechts (§ 242 BGB). Wann diese eintritt, kann nur im jeweiligen Vorgang geprüft werden. Teilweise wird die Meinung vertreten, dass der Widerspruch innerhalb von einem Monat, nach Erkennen des Fehlers durch den Arbeitnehmer, erklärt werden müsste. Dies allein würde jedoch den hohen Anforderungen nicht genügen, die der Gesetzgeber in 2002 bzgl. der Inhalte und der formalen Strenge eingeführt hat.
Die Möglichkeit des Widerspruchs ist jedoch auf jeden Fall dann aufgegeben, wenn der Arbeitnehmer sich bereits positiv erklärt hat. Voraussetzung ist eine ausreichende Unterrichtung über die wesentlichen Aspekte des Betriebsüberganges und ein nachfolgender schriftlicher Verzicht auf den Widerspruch durch den einzelnen Betroffenen.
Im Fall von Siemens–BenQ hat das LAG Düsseldorf übrigens entschieden, dass die Unterrichtung nicht vollständig war und die Arbeitnehmer auch nach einem Jahr noch widersprechen können (LAG Düsseldorf Pressemitteilung vom 29.04.2008).
Vergütung: freiwillige Zulagen – freiwillige Zahlung?
Weihnachtsgeld, Urlaubsgeld oder Leistungsbonus – in Zeiten knapper Kassen geraten die „freiwilligen Leistungen“ ins Visier der Arbeitgeber. Die Frage, ob Zuschläge oder Zulagen gekürzt oder gestrichen werden können, stellt sich alle Jahre wieder.
Mit Ausnahme der Zuschläge für Nachtarbeit (§ 6 Abs. 5 ArbZG) besteht kein gesetzlicher Anspruch auf Zuschläge oder Zulagen. Ein entsprechender Anspruch des Arbeitnehmers kann sich aus einem Tarifvertrag, einer Betriebsvereinbarung, einer betrieblichen Übung oder dem Arbeitsvertrag ergeben.
Eine „freiwillige Zulage“ liegt nur bei einer Leistung vor, zu welcher der Arbeitgeber weder gesetzlich, tarifvertraglich noch betriebsverfassungsrechtlich verpflichtet ist.
Begrenzung der Zahlung als „freiwillige Leistung“?
Laufende Entgelte, wie z.B. eine monatliche Leistungszulage, können einem Freiwilligkeitsvorbehalt nicht unterworfen werden. Dies würde ja bedeuten, der Arbeitgeber könnte Monat für Monat über die Zahlung neu entscheiden. Das wäre unangemessen und damit eine nach § 307 Abs. I Satz 1 BGB unwirksame Benachteiligung des Arbeitnehmers (vgl. BAG Urteil vom 25. 4. 2007 – 5 AZR 627/06).
Der Arbeitgeber ist aber generell in seiner Entscheidung frei, ob und unter welchen Voraussetzungen er zu den regelmäßigen Zahlungen eine zusätzliche außertarifliche Leistung gewährt. Dies kann Urlaubsgeld, eine Weihnachtsgratifikation oder einen einmaligen Bonus treffen. Erforderlich und ausreichend ist ein konkreter – hinreichend deutlicher – Hinweis im Arbeitsvertrag oder eine Erklärung anlässlich der Zahlung, dass aus der Sonderzahlung künftige Ansprüche nicht hergeleitet werden können (§ 307 Abs. II Satz 1 BGB). Mit dieser Sonderzahlung kann der Arbeitnehmer für die Zukunft nicht rechnen.
Hat der Arbeitgeber aber drei oder mehr Zahlungstermine lang, ohne einen Bezug auf eine freiwillige Praxis, gezahlt, so entsteht ein Anspruch auf Zahlung auch für die Zukunft (betriebliche Übung). Der Arbeitnehmer kann aus dem Verhalten des Arbeitgebers unter Berücksichtigung von Treu und Glauben sowie der Verkehrssitte gemäß § 42 BGB und der Begleitumstände darauf schließen, dass der Arbeitgeber auch in Zukunft diese außertarifliche Sonderzahlung erbringt (vgl. BAG 28. 06. 2006 – 10 AZR 385/05).
In diesen Fällen kann der Arbeitgeber nur mit Zustimmung des Arbeitnehmers (Vertrag) oder einer drei oder mehrmaligen Duldung der Kürzung oder Nichtzahlung (protestlose gegenläufige betriebliche Übung) eine Änderung herbeiführen.
Begrenzung der Zahlung durch Widerrufsvorbehalt?
Auch ein wirksamer Widerrufsvorbehalt berechtigt den Arbeitgeber, unter Einhaltung billigen Ermessens, eine verbindliche Gratifikationszusage einseitig abzuändern oder gar zu streichen.
Umfassende, pauschale Widerrufsvorbehalte in regelmäßig verwendeten Arbeitsverträgen sind nach der Rechtssprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) nicht zumutbar. Zu einem wirksamen Widerrufsvorbehalt gehört Klarheit, Verständlichkeit und die Nennung der möglichen Widerrufsgründe. Anderenfalls ist der Vorbehalt wegen Verstoßes gegen §§ 308 Nr. 4, 307 BGB unwirksam (vgl. BAG 28. 06. 2006 – 10 AZR 385/05). Arbeitgeber sollten die Widerrufsklausel möglichst konkret ausgestalten, um das gesetzliche Zumutbarkeitskriterium zu erfüllen.
Bei Formulararbeitsverträgen nach dem 01.01.2002 ist eine unwirksame Widerrufsklausel komplett unbeachtlich (§ 306 Abs. II BGB) – ein Widerruf der Sonderzahlung dann ausgeschlossen.
Auch bei Formulararbeitsverträgen, die vor dem 01.01.2002 abgeschlossen worden sind (Altverträge), gelten seit dem 01.01.2003 die gleichen Anforderungen. Die Konsequenz der Unwirksamkeit ist jedoch eine andere: Die durch Unwirksamkeit entstandene Lücke im Vertrag kann durch eine ergänzende Vertragsauslegung geschlossen werden. Eine Bindung des Arbeitgebers an die vereinbarte Leistung ohne Widerrufsmöglichkeit würde rückwirkend unverhältnismäßig in die Privatautonomie eingreifen. Schließlich war die spätere Vorschrift noch nicht bekannt, die Parteien konnten sich nicht darauf einstellen. Es ist zu fragen, was die Parteien vereinbart hätten, wenn ihnen die gesetzlich angeordnete Unwirksamkeit der Widerrufsklausel bekannt gewesen wäre.
Aber: Ist der Altvertrag nach dem 01.01.2002 im entsprechenden Regelungsbereich geändert worden, so konnten die neuen gesetzlichen Vorschriften beachtet werden und § 306 Abs. II BGB verwehrt den Weg zur ergänzenden Auslegung.
Wird ein wirksamer Widerrufsvorbehalt ausgeübt, so stellt die Erklärung eine Bestimmung der Leistung durch den Arbeitgeber nach § 315 Abs. 1 BGB dar. Der Widerruf muss im Einzelfall billigem Ermessen entsprechen. Was billigem Ermessen entspricht, ist unter Berücksichtigung beider Interessen von Arbeitgeber und Arbeitnehmer festzustellen. Ist bereits ein Maßstab (Arbeitsvertrag, Tarifvertrag,…) festgelegt, erfolgt die Prüfung anhand dieser Kriterien. Da pauschale Widerrufsvorbehalte unwirksam sind, ist hiervon in der Regel auszugehen. Bei Altverträgen sind die Kriterien ggf. zuvor durch die ergänzende Vertragsauslegung zu erarbeiten (s.o.) und im Rahmen der Ausübungskontrolle anzuwenden.
Beraterhinweis:
Häufig finden sich in Arbeitsverträgen Formulierungen, nach denen die Zahlung eine „freiwillige, stets widerrufliche Leistung“ des Arbeitgebers sei. Es ist davon auszugehen, dass diese Kombination von Freiwilligkeitsvorbehalt auf der einen Seite und Widerrufsvorbehalt auf der anderen Seite gegen das Transparenzgebot des § 307 Abs. I Satz 2 BGB und das Gebot der Klarheit § 305c Abs. II BGB verstoßen und deshalb unwirksam ist (vgl. BAG Urteil vom 30.07.2008 – 10 AZR 606/07). Der unwirksame Freiwilligkeitsvorbehalt fällt ersatzlos weg, sofern der Arbeitsvertrag nach dem 01.01.2002 vereinbart worden ist. Er ist nicht in einen Widerrufsvorbehalt umzudeuten (vgl. § 306 Abs. II BGB).